Vitamin D und der Umgang mit depressiven Verstimmungen
"What is vitamin D? - The best antidepressant"1 and "With a smile through the day? Easy!"2
Solche wissenschaftlich fragwürdigen Formulierungen begünstigen die Einnahme von Vitamin-D-Präparaten, eine Praxis, die gegenwärtig in der Gesellschaft weit verbreitet ist. Diesen Darstellungen zufolge werden Vitamin D vorbeugende Eigenschaften gegenüber diversen Krankheiten, zum Beispiel Grippe, Krebserkrankungen und depressive Zustände, zugeschrieben.
Im Jahr 2019 waren global annähernd 280 Millionen Individuen von depressiven Störungen betroffen3. Sie repräsentiert eine weit verbreitete psychische Beeinträchtigung, welche Menschen jedweden Alters, Geschlechts und jeglicher ethnischer Herkunft beeinflusst. Diese psychische Erkrankung kann ein Gefühl der Teilnahmslosigkeit hervorrufen und die Bewältigung alltäglicher Abläufe erheblich erschweren. Betroffene Personen tragen ein signifikant höheres Risiko für das Auftreten körperlicher Beschwerden und sogar für einen Suizidversuch3,4. Vitamin D hat in jüngster Vergangenheit im Kontext der Depression sowohl wissenschaftlich als auch öffentlich erhöhte Aufmerksamkeit erfahren5,6.
Besteht demnach wirklich ein Zusammenhang zwischen niedrigen Vitamin-D-Werten und depressiven Zuständen? Oder kann - umgekehrt betrachtet - die Einnahme von Vitamin-D-Präparaten tatsächlich bei Depressionen unterstützend wirken?
Mangelerscheinungen von Vitamin D sind global verbreitet und werden vorrangig durch das Defizit an Sonnenlicht während der Winterzeit hervorgerufen. Ein zunehmend nach drinnen verlegter Lebensstil sowie zusätzliche individuelle Faktoren wie das Alter oder die Pigmentierung der Haut beeinflussen ebenfalls maßgeblich die Menge an Vitamin D, welche der Organismus selbst bildet5,7,8,9. Die Synthese von Vitamin D vollzieht sich vornehmlich in der Haut, wenn diese direktem Sonnenlicht ausgesetzt ist, und dieses Vitamin erfüllt im menschlichen Körper zahlreiche wesentliche Funktionen. Für die Aufrechterhaltung eines adäquaten Serotoninspiegels, einem entscheidenden Neurotransmitter im Gehirn, ist Vitamin D von fundamentaler Bedeutung. Sowohl ein ausgewogener Serotoninwert als auch eine erhöhte Dichte an Vitamin-D-Rezeptoren im zerebralen Bereich erweisen sich als maßgeblich für die Regulation der Gemütslage. Die Gemütslage kann durch Serotonin merklich positiv beeinflusst werden, da es dazu beiträgt, Gefühle von Angst und depressiver Verstimmung zu reduzieren10.
In zahlreichen Forschungsarbeiten wurde geprüft, ob ein Zusammenhang zwischen niedrigen Vitamin-D-Werten sowie dem Risiko und dem Ausmaß depressiver Störungen besteht. Während einige dieser Untersuchungen eine Assoziation aufzeigten7,11,12, konnte von anderen keine derartige Verknüpfung nachgewiesen werden13,14,15. Eine maßgebliche Schwierigkeit bei der Einschätzung der Korrelation zwischen dem Vitamin-D-Spiegel und depressiven Zuständen liegt darin, Ursache und Wirkung klar voneinander abzugrenzen. Es könnte durchaus sein, dass die Depression selbst den Mangel an Vitamin D bedingt, da depressive Individuen eventuell weniger motiviert sind, sich im Freien aufzuhalten7,16. Diese reziproke Kausalität muss zwingend in die Überlegungen miteinbezogen werden.
Da die Kausalbeziehung bisher unklar ist, wurden Studien zur Supplementierung von Vitamin D als potenzielle Therapieoptionen näher betrachtet. Die Resultate zeigten sich allerdings als kontrovers, da sie von keinerlei erkennbaren positiven Effekten bis hin zur Minderung depressiver Symptome reichten8,11,16. Als wahrscheinliche Ursachen für die erheblich abweichenden Schlussfolgerungen gelten unter anderem divergierende Studiendesigns, begrenzte Stichprobengrößen, Variabilitäten in der eingesetzten Vitamin-D-Dosierung sowie die Dauer der Supplementation mit Vitamin D6,17,18.
Ein weitverbreitetes Problem bildeten Differenzen in der Zusammensetzung der untersuchten Studienpopulation6,17,18. Bei der Rekrutierung von Studienteilnehmern ist es von zentraler Bedeutung zu bedenken, dass der Vitamin-D-Spiegel von einer Fülle unterschiedlicher Faktoren beeinflusst wird. Zu den Faktoren, welche die Effektivität von Vitamin-D-Supplementen möglicherweise negativ beeinflussen, zählen unter anderem soziodemografische Aspekte (wie Alter, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit), das Ausmaß an Sonneneinstrahlung, der Grad der Urbanisierung oder auch der allgemeine Gesundheitszustand (einschließlich körperlicher Betätigung, BMI, Rauchgewohnheiten, Alkoholkonsum sowie chronischer Krankheiten)6,11,12,16,17,18. Ein Großteil der durchgeführten Studien versäumte es jedoch, eigene methodische Mängel oder besagte interferierenden Faktoren zu dokumentieren oder zu analysieren, obgleich diese einen erheblichen Einfluss auf die gewonnenen Befunde haben6,17,18.
Nichtsdestotrotz wurde eine gewisse Neigung unter ganz bestimmten Bedingungen erkennbar. Bemerkenswerte positive Effekte durch Vitamin-D-Ergänzung wurden beispielsweise bei zwei spezifischen Probandengruppen festgestellt: erstens bei stark depressiven Personen, die trotz ihrer Depression normale Vitamin-D-Werte besaßen, und zweitens bei leicht depressiven Individuen mit einem dokumentierten Vitamin-D-Mangel. Bei diesen Individuen wurde eine statistisch signifikante Verringerung der depressiven Symptome beobachtet, sobald sie Vitamin-D-Präparate konsumierten6,17,18. Im Kontrast dazu konnte bei leicht depressiven Personen, welche bereits normale Vitamin-D-Werte aufwiesen, durch eine zusätzliche Vitamin-D-Supplementation keine Linderung der depressiven Symptome erzielt werden6.
Alles in allem fehlt es an eindeutigen wissenschaftlichen Beweisen, die belegen, dass erhöhte Vitamin-D-Spiegel die Symptome von Depressionen lindern können. Dennoch erscheint eine Verbindung zwischen Vitamin D und Depressionen, angesichts der vielfältigen neurologischen Wirkungen des Vitamins, durchaus plausibel. Für Patienten mit einer klinisch diagnostizierten Depression scheint die zusätzliche Verabreichung von Vitamin D wirksam zu sein. Gleichwohl wird auch Personen mit leichten depressiven Verstimmungen empfohlen, potenzielle Vitamin-D-Mängel ärztlich überprüfen zu lassen, da in solchen Fällen eine Supplementierung nachweislich zur Linderung der Beschwerden beitragen kann. Folglich bedeutet Vitamin D, nach den aktuellen Erkenntnissen zu urteilen, lediglich für die erwähnten Personengruppen „mit einem Lächeln durch den Tag'. Die eigenmächtige Einnahme von Vitamin-D-Präparaten ohne vorherige ärztliche Konsultation sollte zum jetzigen Zeitpunkt mit großer Vorsicht erfolgen.
Ausgabe 12 (PDF)
Lilli Kratzer, Linda Krause, Hanna-Margareta Schwarzbach